Merz geht bei Russen-Vermögen auf Belgien zu Von Ansgar Haase, Katharina Redanz und Michael Fischer, dpa
18.12.2025 17:36
Beim EU-Gipfel steht die Glaubwürdigkeit Europas auf dem Spiel. Für
den Kanzler ist es die erste große Bewährungsprobe als europäische
Führungsfigur. In Brüssel kämpft er gegen das drohende Scheitern.
Brüssel (dpa) - Bundeskanzler Friedrich Merz will den Forderungen
Belgiens nachkommen und auch in Deutschland festgesetztes Vermögen
der russischen Zentralbank für die Unterstützung der Ukraine
bereitstellen. Das erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Rande des
EU-Gipfels in Brüssel aus Verhandlungskreisen.
Es geht nur um einen kleinen Bruchteil von weniger als einem Prozent
der insgesamt etwa 210 Milliarden Euro, die in der EU lagern.
Trotzdem kommt dem Schritt eine symbolische Bedeutung in dem
monatelangen Ringen um die Verwendung des russischen Geldes für die
Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine zu.
Die Entscheidung soll beim EU-Gipfel getroffen werden, der am
Vormittag begann und nach dem Willen von Ratspräsident António Costa
so lange gehen soll, bis die finanzielle Unterstützung für die
Ukraine für 2026 und 2027 gesichert ist. Es geht zunächst um 90
Milliarden Euro, ohne die das Land in seinem Abwehrkampf gegen
Russland wohl kaum bestehen könnte.
Geld oder Blut: Selenskyj schaltet sich in Schicksalsgipfel ein
Vor diesem Szenario warnte der ukrainische Präsident Wolodymyr
Selenskyj in Brüssel eindringlich. Auch Europa werde dann «nicht mehr
mit Geld, sondern mit Blut bezahlen». Er pflichtete damit Polens
Regierungschef Donald Tusk bei, der vor Beginn gesagt hatte:
«Entweder heute Geld oder morgen Blut». Er bezog diesen Satz
ausdrücklich auch auf Europa. Polen und andere östliche EU-Staaten
warnen immer wieder davor, dass sie die nächsten Angriffsziele
Russlands sein könnten, wenn die Ukraine fällt.
Für die EU geht es bei der Entscheidung um nicht weniger als ihre
außenpolitische Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit. Seit fast
vier Jahren beteuern die führenden Staats- und Regierungschefs der
Europäischen Union, dass die Ukraine so lange unterstützt werde, wie
es nötig sei. Bei einem Scheitern der weiteren Finanzierung wäre
diese Zusage hinfällig.
Es wäre auch ein Scheitern von Kanzler Merz, der sich in den
vergangenen Monaten zu einer Führungsfigur der europäischen
Ukraine-Politik entwickelt hat. Mit dem Gipfel in Berlin am Montag
hat er den Europäern einen festen Platz in den Verhandlungen um eine
Friedenslösung gesichert. Dieser Nimbus wäre wieder dahin, wenn die
EU sich in der Kernfrage der Finanzierung nicht einig wird.
Merz spricht von «einziger Option»
Merz hatte sich schon im September überraschend an die Spitze der
Befürworter der Nutzung des russischen Vermögens gesetzt, nachdem er
lange Zeit skeptisch war. «Aus meiner Sicht ist das in der Tat die
einzige Option», sagte der CDU-Vorsitzende zu Beginn des Gipfels. Er
machte deutlich, dass die Aufnahme von Schulden als denkbare
Alternative für ihn nicht infrage komme.
Merz äußerte erneut Verständnis für die rechtlichen und politischen
Bedenken vor allem Belgiens, wo der größte Teil des dreistelligen
Milliardenbetrags lagert. «Aber ich hoffe, dass wir sie gemeinsam
ausräumen können.» Die EU müsse ein Zeichen der Stärke und der
Entschlossenheit an Russland senden. Zu den Einigungschancen äußerte
Merz sich zuversichtlich. «Mein Eindruck ist, dass wir zu einem
Ergebnis kommen können.»
De Wever fordert «Fallschirm» für alle
Mit seiner Zusage, auch das in Deutschland lagernde Vermögen zur
Nutzung freizugeben, kommt Merz dem belgischen Ministerpräsidenten
Bart De Wever nun einen Schritt entgegen. Der hatte diese Forderung
aufgestellt, um das Risiko zu mindern, dass Belgien alleiniges Ziel
von möglichen Vergeltungsmaßnahmen wird. Dabei wird unter anderem die
Gefahr gesehen, dass Moskau europäische Privatpersonen und
Unternehmen in Russland enteignet.
«Wenn man uns bittet zu springen, dann springen wir alle zusammen»,
sagte De Wever vor Beginn des Gipfels. «Wenn Vertrauen in den
Fallschirm besteht, darf es kein Problem sein, zusammen zu springen.»
Drei Bedingungen für Zustimmung
Als Voraussetzungen dafür, dass Belgien ungeachtet der Gefahren doch
mitmacht, hatte De Wever zuletzt drei Bedingungen genannt. Demnach
muss garantiert sein, dass eine Vergemeinschaftung aller möglichen
Risiken erfolgt und ab dem ersten Moment der Umsetzung des Plans
ausreichend finanzielle Garantien bestehen, um potenziellen
finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
Zudem fordert er einen umfassenden Liquiditäts- und Risikoschutz für
alle durch den Plan betroffene Bürger oder Unternehmen und eine
Beteiligung aller anderen EU-Länder, in denen ebenfalls noch
Vermögenswerte der russischen Zentralbank eingefroren wurden. Dazu
zählen neben Deutschland nach Angaben der EU-Kommission auch
Frankreich, Schweden, Zypern und Luxemburg, wobei der Großteil der
nutzbaren Gelder in Frankreich festgesetzt ist.
Keine offiziellen Angaben über Mittel in Deutschland
Wie viel russisches Zentralbankgeld genau in Deutschland liegt, hält
die Bundesregierung bislang geheim. Nach Angaben aus EU-Kreisen soll
es um einen niedrigen zweistelligen Millionenbetrag gehen.
Kanzler Merz und zahlreiche andere führende EU-Politiker hoffen, dass
der Plan bei dem letzten regulären EU-Gipfel des Jahres gebilligt
werden kann. Für den Fall, dass das eingefrorene russische Geld zum
Beispiel infolge von internationalen Urteilen oder Deals unerwartet
wieder freigegeben werden müsste, sieht er vor, dass die EU-Staaten
Garantien leisten, die den betroffenen Finanzinstituten eine
sofortige Rückzahlung der Mittel an Russland ermöglichen würden. Die
Kommission argumentiert, dass dies den Bürgern in der EU deutlich
leichter zu verkaufen sein dürfte als die Aufnahme neuer europäischer
Gemeinschaftsschulden für die Ukraine.
Aus deutschen Regierungskreisen hieß es am Nachmittag zum
Verhandlungsstand, es gebe Bewegung und es gehe auch in die richtige
Richtung. Man sei aber noch nicht am Ziel.
