Rechtsprofessor: Polen-Urteil ist auch Signal an Deutschland

19.12.2025 00:30

Der EuGH pocht in einem Urteil gegen Polen auf das letzte Wort. Doch
auch mit Bezug zu Deutschland sei ein «Verfassungsgerichtselefant»
mit im Raum, meint ein Verfassungsexperte.

Luxemburg/Bielefeld (dpa) - Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
(EuGH) gegen die polnische Justiz wegen Verstößen gegen wesentliche
Prinzipien des EU-Rechts ist einem renommierten Rechtswissenschaftler
zufolge auch ein Signal an das deutsche Bundesverfassungsgericht. Der
EuGH betone damit, dass er das letzte Wort habe und EU-Recht
nationalem Recht vorgehe. Das sei weiterhin eine «Sollbruchstelle» zu
den nationalen Höchstgerichten, erklärte der Europarechtler Franz
Mayer von der Universität Bielefeld.

Das Urteil ließe erkennen, dass der EuGH über ein
Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland ähnlich entschieden
hätte, wäre Deutschland etwa wegen des
Bundesverfassungsgerichtsurteils zur Europäischen Zentralbank vor dem
EuGH verklagt worden. Der «Karlsruher Verfassungsgerichtselefant» sei
spürbar mit im Raum gewesen bei der Verkündung des Urteils gegen
Polen, meint Mayer.

Die Richterinnen und Richter in Luxemburg hatten Polen verurteilt,
weil der polnische Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des höchsten
europäischen Gerichts nicht anerkennen wollte. Die Polen führten an,
dass dem die polnische Verfassung entgegenstehe.

Deutschland entging einer Klage vor dem EuGH

Ähnlich hatten zuvor bereits mehrere andere nationale Gerichte
gegenüber dem EuGH argumentiert - darunter auch das deutsche
Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es behält sich bislang vor,
dass EU-Recht nicht in die nationale Verfassungsidentität eingreifen
dürfe, auch wenn EU-Recht nationalem Recht grundsätzlich vorgeht. In
einem umstrittenen EZB-Urteil im Jahr 2020 hatten sich die deutschen
Verfassungshüter über einen Spruch aus Luxemburg hinweggesetzt.

Fast wäre deswegen auch Deutschland von der EU-Kommission verklagt
worden. Die Brüsseler Behörde hatte damals ein
Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, aber nach Zusicherungen der
Bundesregierung wieder eingestellt.

Zugleich dürfte das Bundesverfassungsgericht mit den allermeisten
Aussagen im Urteil zur polnischen Justiz aber kein Problem haben, so
Rechtswissenschaftler Mayer. Darin war es auch um Besetzungsfehler
des polnischen Verfassungsgerichtshofs gegangen. Laut EuGH sei dieser
deswegen kein unparteiisches und unabhängiges Gericht mehr gewesen.