EU sichert Ukraine-Finanzierung bis 2027 - Moskau spottet Von Michael Fischer, Katharina Redanz, Valeria Nickel und Ansgar Haase, dpa

19.12.2025 12:10

Es ist gerade noch einmal gut gegangen: Die EU hat die Finanzierung
der Ukraine gesichert - wenn auch nicht nach dem «Modell Merz». Eine
andere wichtige Entscheidung steht noch aus.

Brüssel (dpa) - Die EU-Länder haben sich nach monatelangem Streit auf
einen Kompromiss zur Finanzierung der Ukraine für die nächsten zwei
Jahre verständigt. Wie Bundeskanzler Friedrich Merz nach dem
EU-Gipfel in Brüssel ankündigte, erhält das von Russland angegriffene

Land von der EU einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro. Falls
Russland für Kriegsschäden keine Entschädigung leistet, sollen in der

EU eingefrorene russische Vermögenswerte für die Rückzahlung
herangezogen werden.

Merz wertete die Lösung als «großen Erfolg», obwohl sie nicht seine
m
ursprünglichen Vorschlag entspricht. Er wollte eigentlich die vor
allem in Belgien festgesetzten Gelder der russischen Zentralbank
direkt für Darlehen in Höhe von bis zu 210 Milliarden Euro einsetzen.
Dieser Plan scheiterte am Ende am Widerstand von Ländern wie
Frankreich und Italien, nachdem zuvor vor allem Belgien zu große
rechtliche und politische Risiken gesehen hatte. 

Kanzler sieht Demonstration europäischer Souveränität

Merz zeigte sich aber auch mit dem Alternativmodell zufrieden.
«Europa hat verstanden, was die Stunde geschlagen hat und Europa hat
eine Demonstration seiner Souveränität abgeliefert», sagte er nach
rund 18-stündigen Beratungen im Brüsseler Europagebäude. «Wir stell
en
uns entschlossen der größten sicherheitspolitischen Bedrohung Europas
entgegen. Das ist die Aggression Russlands, die längst den
Angriffskrieg gegen die Ukraine übersteigt.» 

Die 90 Milliarden Euro reichen Merz zufolge aus, um den militärischen
Bedarf und den Bedarf beim Haushalt der Ukraine für die nächsten zwei
Jahre zu decken. Die Auszahlung kann seinen Angaben zufolge schon im
Januar beginnen.

Polens Regierungschef Donald Tusk sagte in Brüssel, die Ukraine gehe
nun mit «starken Argumenten» in die Verhandlung mit Moskau über einen

Waffenstillstand oder Frieden. «Diese starken Argumente sind die 90
Milliarden Euro, die die Ukraine erhalten wird.» 

Putins Chefunterhändler verspottet Merz

Der russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew bezeichnete den
Brüsseler Kompromiss als gewaltigen Schlag für Merz und
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, die er beide
«Kriegstreiber» nannte. «Gesetz und gesunder Menschenverstand haben
vorerst gesiegt», schrieb er auf der Plattform Telegram.

Russland hatte stets vor einem «Diebstahl» seines Staatsvermögens
gewarnt und damit gedroht, im Gegenzug auch westliches Geld - vor
allem von Privatinvestoren und Unternehmen - für seine Zwecke zu
verwenden. Kremlchef Wladimir Putin sagte in Moskau, Russland werde
weiter seine Interessen verteidigen und versuchen, politische
unabhängige Gerichte zu finden, die der Klage auf Rückführung der in

der EU eingefrorenen Staatsmilliarden stattgeben. «Was sie auch
stehlen, irgendwann muss es zurückgegeben werden», sagte Putin. 

Paris und Rom verhinderten «Merz Modell»

Das ursprüngliche Finanzierungsmodell des Kanzlers kam nach Angaben
von Diplomaten nicht durch, weil unter anderem die Regierungen in
Paris und Rom sich weigerten, die notwendigen Mittel für den von
Belgiens Regierungschef Bart De Wever geforderten Schutzmechanismus
bereitzustellen. Er wollte garantiert bekommen, dass alle Risiken,
die sich aus der Nutzung russischen Geldes ergeben könnten,
vollständig gemeinschaftlich abgesichert werden.

Die belgische Regierung sah unter anderem die Gefahr, dass Russland
Vergeltung gegen europäische Privatpersonen und Unternehmen übt und
es in Russland zu Enteignungen kommt. Vor allem fürchtet sie auch um
die Existenz des Finanzinstituts Euroclear, das den Großteil der in
der EU festgesetzten russischen Vermögenswerte verwaltet. 

Nach dem Gipfel zeigte sich aber auch De Wever zufrieden. «Die
Ukraine hat gewonnen, Europa hat gewonnen, die finanzielle Stabilität
hat gewonnen», sagte er. «Hätten wir Brüssel heute gespalten
verlassen, hätte Europa seine geopolitische Bedeutung eingebüßt. Das

wäre eine totale Katastrophe gewesen.» Frankreichs Präsident Emmanuel

Macron bezeichnete die nun gefundene Lösung als «die realistischste
und praktikabelste».

Orban spricht von «verlorenem Kriegskredit» 

Seit fast vier Jahren beteuern die führenden Staats- und
Regierungschefs der Europäischen Union, dass die Ukraine so lange
unterstützt werde, wie es nötig sei. Bei einem Scheitern der weiteren
Finanzierung wäre diese Zusage hinfällig gewesen. 

Es wäre auch ein Scheitern von Kanzler Merz gewesen, der sich schon
im September überraschend an die Spitze der Befürworter der Nutzung
des russischen Vermögens gesetzt hatte. Nun hat er zwar seinen
ursprünglichen Plan nicht durchgebracht, die Finanzierung der Ukraine
aber trotzdem gesichert. 

Es gab aber auch Kritik aus den Reihen der Staats- und
Regierungschefs. Ungarns Regierungschef Viktor Orban, der für
kremlfreundliche Positionen bekannt ist, sprach von einem «verlorenen
Kriegskredit». EU-Ratspräsident António Costa sagte dagegen, Ziel sei

es nicht, den Krieg zu verlängern, sondern einen gerechten und
dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen. 

Mercosur-Deal auf Januar verschoben

Noch nicht zu einer abschließenden Entscheidung kam die EU beim
zweiten wichtigen Gipfelthema: Die eigentlich für diesen Samstag
geplante Unterzeichnung des EU-Freihandelsabkommens mit vier
Mitgliedsländern des südamerikanischen Staatenbunds Mercosur muss
verschoben werden. Einen neuen Termin soll es nun in der ersten
Januarhälfte geben.

Zuvor hatte die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni
mitgeteilt, sie sei noch nicht bereit, dem geplanten Abkommen mit den
vier Staaten Brasilien, Argentinien, Uruguay und Paraguay
zuzustimmen. Damit war klar, dass die für eine Unterzeichnung
erforderliche Mehrheit nicht zustande kommt. Für diese wollten heute
eigentlich Kommissionspräsidentin von der Leyen und EU-Ratspräsident
Costa nach Brasilien reisen.

Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Einwohnern

Für Merz ist die Verschiebung ein Dämpfer. Er hatte zu Gipfelbeginn
gesagt, wenn die Europäische Union in der Handelspolitik glaubwürdig
bleiben wolle, dann müssten jetzt Entscheidungen getroffen werden.
«Und die Entscheidung kann nur lauten, dass Europa zustimmt und dass
die Kommissionspräsidentin und der Ratspräsident morgen nach
Südamerika reisen und dieses Abkommen unterzeichnen», fügte er hinzu.


Die neue Freihandelszone mit mehr als 700 Millionen Einwohnern wäre
nach Angaben der EU-Kommission die weltweit größte dieser Art und
soll auch ein Zeichen gegen die protektionistische Zollpolitik von
US-Präsident Donald Trump setzen. Geplant ist, Zölle und
Handelsbarrieren zwischen der EU und den Mercosur-Staaten
weitestgehend abzubauen. Die Verhandlungen für den Deal starteten
bereits 1999.