EU-Staaten stimmen für lockerere Gentechnik-Vorgaben Von Marek Majewsky, dpa

19.12.2025 13:27

Im Supermarkt dürfen künftig genveränderte Lebensmittel ohne
spezielle Kennzeichnung liegen. Das sieht ein Deal von EU-Staaten und
Europaparlament vor. Die finale Annahme ist nun einen Schritt weiter.

Brüssel (dpa) - Unter den EU-Staaten zeichnet sich eine ausreichende
Mehrheit dafür ab, dass Lebensmittel künftig im Supermarkt ohne
spezielle Kennzeichnung verkauft werden dürfen. Im Ausschuss der
Ständigen Vertreter signalisierten genügend EU-Staaten ihre
Unterstützung für die Lockerung der entsprechenden
Gentechnikvorgaben. 

Deutschland enthielt sich nach Informationen der Deutschen
Presse-Agentur bei der Aussprache. Auch acht weitere Länder stimmten
dem Vorhaben nicht zu, eine ausreichende Mehrheit gab es trotzdem.
«Mit dieser Vereinbarung haben wir einen großen Schritt zur Stärkung

der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Agrar- und
Lebensmittelsektors getan», teilte die dänische
EU-Ratspräsidentschaft mit. 

Landwirte erhielten neue und sichere Instrumente, um im globalen
Wettbewerb bestehen zu können, so die Dänen. Zudem werde die
Landwirtschaft nachhaltiger und widerstandsfähiger gegenüber dem
Klimawandel. Dänemark hält noch bis Jahresende den regelmäßig
wechselnden Vorsitz unter den EU-Staaten. 

Deutscher Umweltminister mit Kritik

Bundesumweltminister Casten Schneider (SPD) bezeichnete die
Entscheidung aus Brüssel als schweren Fehler. «Falls das EU-Parlament
diesen Fehler nicht noch korrigiert, wird es darum gehen, den Schaden
für Deutschland zu begrenzen», so der Minister. Gentechnikfreie
Landwirtschaft müsse möglich und bezahlbar bleiben. Es brauche
Lieferketten, die sicherstellten, dass gentechnisch veränderte von
gentechnikfreien Pflanzen und Produkten unterscheidbar seien.

Vor rund zwei Wochen hatten sich bereits Unterhändler des
Europaparlaments und der Mitgliedsstaaten darauf geeinigt, dass es
künftig zwei Kategorien von Gentechnik geben soll. Gentechnisch
veränderte Lebensmittel, bei denen weniger gravierende Eingriffe
vorgenommen wurden, sollen auch ohne spezielle Prüfung und ohne
Kennzeichnung den Weg in den Supermarkt finden. Wenn größere
Eingriffe in das Erbgut vorgenommen wurden, gelten weiterhin deutlich
strengere Auflagen. 

Verbraucher müssen künftig genauer hinschauen

Wenn die neuen Vorgaben auch formell bestätigt werden, können
Verbraucher künftig nicht mehr auf den ersten Blick erkennen, ob sie
durch moderne Gentechnikverfahren veränderte Lebensmittel essen.

Der Verbraucherzentrale Bundesverband sieht darin eine «herbe
Enttäuschung». Die Verbraucherorganisation Foodwatch spricht von
einem Geschenk an die Agrar-Lobby. Produkte, in denen gekennzeichnete
gentechnisch veränderte Pflanzen verarbeitet sind, haben in
Deutschland im Verkauf derzeit keine Bedeutung.

Wer die neuen Züchtungsmethoden auch künftig nicht auf dem Teller
haben will, kann sich an dem Label «Ohne Gentechnik» orientieren. Das
soll laut dem dahinterstehenden Verband auch künftig
Gentechnikfreiheit garantieren.

Gentechnikfrei soll in Zukunft auch weiterhin die Biolandwirtschaft
bleiben. Jedoch soll es laut Parlament keinen Verstoß darstellen,
wenn es um ein «technisch unvermeidbares Vorhandensein» von
Gentechnik geht. Eine Kennzeichnungspflicht für Saatgut soll es
ermöglichen, weiterhin gentechnikfrei zu arbeiten. 

Die nächsten Schritte

Nachdem nun die EU-Staaten ihre Zustimmung zu dem von Vertretern
ausgehandelten Kompromiss gegeben haben, wird der Umweltausschuss des
Europaparlaments bei seiner nächsten Sitzung im Januar über die
Einigung abstimmen. Danach werden die Texte übersetzt, und die
EU-Staaten nehmen sie formell an. Anschließend muss auch das
Europaparlament final grünes Licht geben. 

«Zum jetzigen Zeitpunkt können wir Ihnen noch keine genaueren Angaben
zum Zeitplan machen», heißt es aus dem Europaparlament mit Blick auf
ein mögliches Datum für die endgültige Annahme. Wenn alle formellen
Schritte abgeschlossen sind, wird der Rechtstext im Amtsblatt der EU
veröffentlicht und tritt 20 Tage später in Kraft. Angewendet werden
sollen die neuen Vorgaben nach einer Übergangszeit von zwei Jahren. 

Neue Sorten unterliegen weiterhin einer Prüfung

Neue Sorten unterliegen weiter der gesetzlich geregelten
Sortenprüfung und -zulassung. Sprich: Komplett ungeprüft kommen auch
künftig gentechnisch veränderte Pflanzen nicht auf den Markt. Denn
auch bei herkömmlichen Züchtungsmethoden gibt es Risiken.

Eines der bekanntesten Beispiele ist die konventionell gezüchtete
Lenape-Kartoffel. Sie enthielt einen erhöhten Gehalt von in
Kartoffeln natürlich vorkommenden giftigen Glykoalkaloiden, nachdem
eine schädlingsresistentere Wildkartoffel eingekreuzt wurde. Die
Sorte musste wieder vom Markt genommen werden.

Befürworter sehen hohes Potenzial

Viele Forscher sehen enormes Potenzial. So besteht die Hoffnung, etwa
eine Weizensorte zu entwickeln, die gegen die Pilzkrankheit Mehltau
resistent ist. Aber auch stressresistente Maispflanzen oder
allergenfreie Erdnüsse sind denkbar. Befürworter erhoffen sich auch
positive Effekte durch besonders widerstandsfähige Pflanzen mit Blick
auf Hunger und Klimakrise.

Zudem erwarten Befürworter, dass europäische Landwirte
wettbewerbsfähiger werden. In anderen Ländern gelten bereits
schwächere Regeln für moderne Gentechnikverfahren.

Kritiker warnen vor Risiken

Unter anderem steht die Befürchtung im Raum, dass neue
Gentechnik-Methoden weitreichend genutzt werden - also für deutlich
mehr als Veränderungen, die auch herkömmlich entstehen könnten. Die
Ökologin Katja Tielbörger warnte in der «Frankfurter Allgemeinen
Zeitung» davor, dass sich gentechnisch veränderte Pflanzen in der
Wildnis ausbreiten könnten. Dies berge Risiken für das Gleichgewicht
eines Ökosystems.