Wie der EU-Kompromiss zum russischen Vermögen aussieht Von Ansgar Haase, Niklas Treppner und Theresa Münch, dpa

19.12.2025 19:38

Happy End für die Ukraine: Das von Russland angegriffene Land bekommt
aus der EU dringend benötigtes Geld. Allerdings nicht wie
ursprünglich von Kanzler Friedrich Merz vorgesehen.

Brüssel (dpa) - Die einen sprachen von einem unverantwortlichen
Verstoß gegen internationales Recht - mit unabsehbaren Folgen auch
für die europäische Finanzmarktstabilität. Die anderen von einem
innovativen und fairen Weg, den Fall der von Russland angegriffenen
Ukraine zu verhindern: Über den Plan zur direkten Nutzung von in der
EU eingefrorenem Staatsvermögen Russlands wurde wochenlang mit harten
Bandagen gestritten. Beim EU-Gipfel in Brüssel kam es nun zum
Showdown und am Ende zu einem gesichtswahrenden Kompromiss für alle
Seiten. Ein Überblick in Fragen und Antworten:

Was sieht der Kompromiss vor?

Das neue Konzept sieht vor, der Ukraine einen zinslosen Kredit über
90 Milliarden Euro zu gewähren. Er soll den dringendsten Finanzbedarf
der Ukraine in den kommenden zwei Jahren decken und dem Land eine
Fortsetzung seines Abwehrkampfes gegen Russland ermöglichen. Ohne
Geld aus der EU droht das Land ab dem zweiten Quartal in den
Staatsbankrott zu rutschen.

Wofür ist das Geld? 

Die 90 Milliarden Euro der EU helfen der Ukraine über die
drängendsten Haushaltsnöte hinweg. Der ukrainische Präsident
Wolodymyr Selenskyj sagte, das Geld werde in Verteidigung fließen,
solange der Krieg weitergeht und in den Wiederaufbau, sollte er
beendet werden. Die finanzielle Unterstützung der EU soll zwei
Drittel des Bedarfs der Ukraine von voraussichtlich mehr als 137
Milliarden Euro decken. Der Rest soll von Partnerstaaten wie
Großbritannien und Kanada kommen. 

Woher soll das Geld kommen?

Die EU will das Geld zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt
aufnehmen und es dann an die Ukraine weiterreichen. Die Absicherung
soll über den EU-Gemeinschaftshaushalt erfolgen. Ungarn, Tschechien
und die Slowakei haben allerdings ausgehandelt, nicht an den Kosten
beteiligt zu werden.

Wie beteiligt sich Deutschland an den Kosten? 

Aus deutschen Regierungskreisen hieß es am Freitag, unmittelbare
Auswirkungen auf den Bundeshaushalt würden nicht erwartet.
Langfristig dürften aber sehr wohl Kosten für den deutschen
Steuerzahler entstehen. Nach Angaben einer EU-Spitzenbeamtin wird die
Finanzierung des geplanten neuen Unterstützungspakets die beteiligten
EU-Staaten schätzungsweise etwa drei Milliarden Euro pro Jahr kosten
- auf unabsehbare Zeit.

Für Deutschland könnte das nach Berechnungen der Deutschen
Presse-Agentur langfristig jährliche Zusatzausgaben in Höhe von etwa
700 Millionen Euro bedeuten. Grund ist, dass sich der nationale
Beitrag nach der Wirtschaftskraft richtet und Ungarn, Tschechien und
die Slowakei herausgehandelt haben, dass sie sich nicht an der
Finanzierung des neuen Unterstützungspakets beteiligen müssen. 

Spielt das in der EU festgesetzte Zentralbankvermögen keine Rolle
mehr?

Doch. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte nach dem Gipfel: «Die EU
behält sich ausdrücklich vor: Sollte Russland keine Entschädigung
leisten, werden wir - in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht

- die russischen Vermögenswerte für die Rückzahlung heranziehen.»
Unklar ist allerdings, was passieren würde, wenn die Ukraine einem
Friedensabkommen zustimmen sollte, das keine Reparationszahlungen
vorsieht. Möglicherweise müsste dann Deutschland und die anderen
beteiligten EU-Staaten den Kredit zurückzahlen.

Was war ursprünglich geplant?

Das von Kanzler Merz bevorzugte Konzept sah vor, dass sich die EU bei
verschiedenen Finanzinstituten Geld leiht, über das Russland wegen
Sanktionsentscheidungen der EU derzeit nicht verfügen kann. Dieses
Geld sollte dann in Form von Darlehen an die Ukraine weitergereicht
werden. Die EU hätte sich also kein Geld auf den Finanzmärkten leihen
müssen. Insgesamt sollte es dabei um bis zu 210 Milliarden Euro
gehen.

Ist dieses Konzept vollständig vom Tisch?

Offiziell nicht. In der Gipfelerklärung zum Thema werden der
Ministerrat und das Europäische Parlament aufgefordert, die Arbeiten
an dem Modell fortzusetzen. Eine Umsetzung ist vorerst aber
eigentlich nicht mehr notwendig.

Warum gab es so lange Streit um den Vorschlag?

Die belgische Regierung blockierte das Vorhaben mit Verweis auf
rechtliche und finanzielle Risiken. Sie sah unter anderem die Gefahr,
dass Russland Vergeltung gegen europäische Privatpersonen und
Unternehmen übt und etwa Enteignungen in Russland vornimmt. Vor allem
fürchtete sie dabei auch um die Existenz des Finanzinstituts
Euroclear, das dem belgischen Staat jährlich hohe Steuereinnahmen
beschert. Hier wird der Großteil der in der EU eingefrorenen
russischen Vermögenswerte verwaltet. Als Risiko wurde weiterhin
genannt, dass ein Schiedsgericht das Vorgehen als illegale Enteignung
wertet und internationale Anleger das Vertrauen in den europäischen
Finanzmarkt verlieren.

Scheiterte der Vorschlag am Ende allein an Belgien?

Nein. Belgiens Regierungschef Bart De Wever hätte ungeachtet der
Gefahren zugestimmt, wenn es einen Schutzmechanismus gegeben hätte,
der alle Risiken zeitlich und finanziell unbefristet abdeckt. Nach
Angaben von Diplomaten waren aber unter anderem Paris und Rom nicht
bereit, die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen. 

Was passiert so lange mit dem russischen Vermögen? 

Das bleibt erst einmal eingefroren. Bereits vergangene Woche hatten
25 der 27 Mitgliedstaaten dafür gestimmt, eine Rückübertragung von
den festgesetzten Mitteln nach Russland unbefristet zu verbieten.
Zuvor mussten die EU-Sanktionsbeschlüsse zu den Mitteln alle sechs
Monate einstimmig verlängert werden. Die EU-Außenbeauftragte Kaja
Kallas hatte nach der Entscheidung erklärt, der Beschluss stelle
sicher, dass die russischen Milliarden auf EU-Boden blieben - es sei
denn, Russland leiste der Ukraine vollständige Wiedergutmachung für
die durch den Krieg verursachten Schäden.

Kann der Plan der EU die US-Initiative zur Beendigung des russischen
Angriffskrieges gefährden?

EU-Ratspräsident António Costa sieht dieses Risiko nicht. «Unser Ziel

ist nicht, den Krieg zu verlängern. Im Gegenteil: Die heutigen
Entscheidungen sind ein entscheidender Beitrag, um einen gerechten
und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen», sagte er nach
dem Gipfel.