EU will Ukraine mit Kredit retten - Russland spottet Von Michael Fischer, Katharina Redanz, Valeria Nickel und Ansgar Haase, dpa
19.12.2025 16:59
Es ist noch einmal gut gegangen: Die EU hat die Finanzierung der
Ukraine gesichert - wenn auch nicht so, wie der Kanzler es wollte. Am
Tag danach feiern sich trotzdem alle als Sieger - auch Russland.
Brüssel (dpa) - Die EU hat sich im Streit um die Ukraine-Hilfe noch
einmal zusammengerauft und die Finanzierung des von Russland
angegriffenen Landes für die nächsten zwei Jahre gesichert. Der
Kompromiss fällt aber anders aus, als Bundeskanzler Friedrich Merz
sich das vorgestellt hat, und wird von Russland verspottet. Wer
profitiert nun wirklich von dem Ergebnis der langen Verhandlungsnacht
in Brüssel, die erst um 3 Uhr morgens endete?
Was das Ergebnis für die Ukraine bedeutet
Das von Russland angegriffene Land erhält von der EU einen zinslosen
Kredit über 90 Milliarden Euro. Damit ist eine Staatspleite für die
nächsten zwei Jahre abgewendet und die Ukraine kann weiter mit
Waffenlieferungen für den Abwehrkampf gegen Russland unterstützt
werden. Erst wenn Russland nicht von sich aus für die Kriegsschäden
aufkommt, sollen in der EU eingefrorene russische Vermögenswerte für
die Rückzahlung herangezogen werden.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wertete die
Milliardenhilfe als «großen Sieg» für sein Land. Das sei eine
positive Nachricht für die ukrainische Bevölkerung und ein Signal an
Russland, dass sich eine Fortsetzung des Krieges nicht lohne, sagte
Selenskyj.
Was das Ergebnis für Russland bedeutet
Ob das Kalkül Selenskyjs und der EU aufgeht, dass das Signal einer
längeren Durchhaltefähigkeit der Ukraine Russland an den
Verhandlungstisch bewegt, ist zumindest fraglich. Erste Hinweise
darauf wird es womöglich bei den Gesprächen der USA und Russlands in
Florida am Wochenende geben.
Der Kreml feierte es jedenfalls erst einmal als Erfolg, dass sich die
EU nicht darauf verständigen konnte, das russische Vermögen direkt
für Kredite an die Ukraine zu nutzen. Das bedeute eine Niederlage für
Merz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, schrieb der
russische Chefunterhändler Kirill Dmitrijew auf der Plattform
Telegram. «Gesetz und gesunder Menschenverstand haben vorerst
gesiegt.»
Russland hatte stets vor einem «Diebstahl» seines Staatsvermögens
gewarnt und damit gedroht, im Gegenzug auch westliches Geld - vor
allem von Privatinvestoren und Unternehmen - für seine Zwecke zu
verwenden. Kremlchef Wladimir Putin sagte in Moskau, Russland werde
weiter seine Interessen verteidigen und versuchen, politische
unabhängige Gerichte zu finden, die der Klage auf Rückführung der in
der EU eingefrorenen Staatsmilliarden stattgeben. «Was sie auch
stehlen, irgendwann muss es zurückgegeben werden», sagte er.
Was das Ergebnis für die EU bedeutet
Die EU hat es bei dem Gipfel geschafft, ein ganz großes Debakel zu
verhindern. Was von Donnerstagfrüh bis Freitagmorgen im Brüsseler
Europa-Gebäude passierte, offenbarte allerdings tiefe Gräben
innerhalb der Staatengemeinschaft. Mit Ungarn, der Slowakei und
Tschechien bestanden gleich drei Länder darauf, nicht an den Kosten
der Finanzierung der Ukraine beteiligt zu werden.
Zugleich wurden Risse zwischen den führenden EU-Staaten Deutschland,
Frankreich und Italien deutlich. So waren Paris und Rom am Ende nicht
bereit, die notwendigen Zugeständnisse zu leisten, um den von Merz
und Kommissionspräsidentin von der Leyen bevorzugten Plan zur Nutzung
russischer Gelder zur Umsetzung zu verhelfen. Als besonders relevant
gilt dabei, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wegen
mangelnder innenpolitischer Rückendeckung und der hohen Verschuldung
seines Landes in vielen Bereichen kaum noch handlungsunfähig ist.
Was das Ergebnis für Merz bedeutet
Für Merz war der Gipfel die erste große Bewährungsprobe als
europäische Führungsfigur. Er hatte sich schon im September
überraschend an die Spitze der Befürworter der Nutzung des russischen
Vermögens gesetzt, nachdem er lange Zeit skeptisch war. Die
Bewährungsprobe hat er nun nur halb bestanden. Die Finanzierung der
Ukraine ist zwar gesichert. Seinen Plan, das russische Vermögen
sofort dafür einzusetzen, setzte Merz aber nicht durch.
Der Kanzler verbuchte den Gipfel trotzdem als «großen Erfolg».
«Europa hat verstanden, was die Stunde geschlagen hat und Europa hat
eine Demonstration seiner Souveränität abgeliefert», sagte er. «Wir
stellen uns entschlossen der größten sicherheitspolitischen Bedrohung
Europas entgegen. Das ist die Aggression Russlands, die längst den
Angriffskrieg gegen die Ukraine übersteigt.» Die Auszahlung des
Geldes kann seinen Angaben zufolge schon im Januar beginnen.
