US-Regierung nimmt deutsche Organisation HateAid ins Visier
24.12.2025 05:12
Trumps Regierung wirft «Ideologen in Europa» Zensur vor. Sie verhängt
Sanktionen gegen Gruppen, die sich gegen Hass im Netz einsetzen. Aus
Deutschland kommen Warnungen vor aufziehendem Totalitarismus.
Washington (dpa) - Die gegen Hass und Hetze im Internet eintretende
deutsche Beratungsstelle HateAid ist ins Visier der Regierung von
US-Präsident Donald Trump geraten. Die beiden Leiterinnen der
gemeinnützigen Organisation wurden ebenso wie drei andere Europäer
wegen angeblicher Zensur amerikanischer Online-Plattformen mit
Einreiseverboten belegt, wie das US-Außenministerium auf X mitteilte.
In einer Stellungnahme sprachen die HateAid-Geschäftsführerinnen
Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg von einem «Akt der
Repression». Auch die französische Regierung reagierte empört.
«Wir sind nicht überrascht. Es ist ein Akt der Repression einer
Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht,
ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen», erklärten
Ballon und von Hodenberg auf dpa-Anfrage. Die US-Regierung versuche
mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich US-Konzerne in Europa an
geltendes Recht halten müssen, und stelle damit «die europäische
Souveränität infrage». Mit diesem Vorgehen sei eine neue
Eskalationsstufe erreicht.
Bundesverdienstorden für «radikale Aktivisten»?
Das von der US-Regierung am Dienstagabend (Ortszeit) verkündete
Einreiseverbot richtet sich nach offizieller Darstellung gegen
«radikale Aktivisten» und Nichtregierungsorganisationen, die
Zensurmaßnahmen durch Drittstaaten vorangetrieben hätten. «Viel zu
lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um
amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte
zu bestrafen, die ihnen nicht passen», schrieb Außenminister Marco
Rubio auf X. Er drohte: Wenn es keine Kurskorrektur gebe, werde die
Liste der Sanktionierten noch länger.
HateAid bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für
Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder
angegriffen werden. Im Oktober wurde von Hodenberg für ihre Arbeit
mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Damals hieß es, sie habe
2018 mit der Gründung von HateAid Pionierarbeit geleistet und die
erste bundesweite Beratungsstelle geschaffen, an die sich Menschen
bei Fällen von Gewalt im Netz wenden können.
«Die Völker Europas sind frei und souverän»
Vom US-Einreiseverbot betroffen ist auch der frühere französische
EU-Kommissar Thierry Breton, der als Architekt des Digital Services
Act gilt, mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden. Das
Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung - im Fall der Plattform
X von Rubio als «Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und
das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen» bezeichnet -
soll verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht.
Breton verglich die US-Sanktionen mit der «Hexenjagd» auf
vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in
den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt
gerieten. Auf der Plattform X schrieb Breton: «An unsere
amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr
sie wähnt.»
Sowohl er als auch die französische Regierung erinnerten daran, dass
der Digital Services Act vom EU-Parlament und allen Mitgliedstaaten
mit großer demokratischer Mehrheit beschlossen worden sei. «Die
Völker Europas sind frei und souverän und lassen sich von anderen
keine Regeln für ihren digitalen Raum aufzwingen», schrieb
Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot auf X. Er verurteilte das
Vorgehen der US-Regierung und betonte, das europäische Gesetz finde
in den USA gar keine Anwendung.
US-Regierung nimmt Musk-Kritiker ins Visier
Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des
britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und
gegen den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center
for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Der Brite lebt der
Organisation zufolge in Washington, ihm droht nun die Abschiebung aus
den USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet
ein.
X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate
vergangenes Jahr als «kriminelle Organisation» bezeichnet. Das CCDH
hatte die von ihm verbreitete Behauptung, Trump solle durch Betrug
bei der US-Präsidentenwahl um den Sieg gebracht werden, als
Desinformation eingestuft.
Im Falle des Global Desinformation Index hatte Musk die Schließung
der Organisation gefordert, die unter anderem vor den Risiken
generativer Künstlicher Intelligenz (KI) warnt - ein wichtiges
Geschäftsfeld des Tech-Milliardärs. Die Organisation entlarvte auch
Verschwörungsmythen rund um das Attentat auf Trump im Juli 2024. Die
UN-Organisation Unesco stuft den GDI als «neutral, unabhängig und
transparent» ein.
Europa als neues Feindbild
Rubio und andere US-Regierungsvertreter hatten in der Vergangenheit
schon mehrfach angebliche Internetzensur in Europa kritisiert. So
löste etwa die Entscheidung der EU-Kommission, der Plattform X wegen
Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Millionen Euro aufzuerlegen,
heftige Reaktionen in Washington aus. Rubio kündigte danach an, die
Tage der Online-Zensur für Amerikaner seien vorbei.
Trump kritisierte die europäischen Digitalgesetze in der
Vergangenheit als wettbewerbsverzerrend. Sein Vize JD Vance sprach
von angeblicher Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa, bei der
vorwiegend politische Positionen aus dem rechtskonservativen Spektrum
zensiert würden. Menschenrechtsorganisationen und Thinktanks, die
sich für den Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie einsetzen, werfen
hingegen der US-Regierung vor, ihre Kritiker mundtot zu machen und
unliebsame Meinungen mit Hilfe einer auf Regierungskurs getrimmten
Tech-Branche aus dem politischen Diskurs zu verbannen.
«Wir lassen uns nicht einschüchtern»
In seiner Sanktionsmitteilung warf das US-Außenministerium nun auch
HateAid vor, die Organisation sei nach der Bundestagswahl 2017 mit
dem Ziel gegründet worden, ein Gegengewicht zu «konservativen
Gruppen» zu bilden. Die Antwort der beiden Gründerinnen, die eine
politische Agenda von sich weisen, fiel klar aus: «Wir lassen uns von
einer Regierung nicht einschüchtern, die Zensurvorwürfe
instrumentalisiert, um diejenigen, die sich für Menschenrechte und
Meinungsfreiheit einsetzen, mundtot zu machen», hieß es in ihrer
Stellungnahme. HateAid werde seine Arbeit mit aller Kraft fortsetzen.
