HateAid zu US-Einreisesperre: Lassen uns nicht einschüchtern Von Jörg Blank, Anna Ringle und Ansgar Haase, dpa
26.12.2025 14:41
Die US-Regierung wirft «Ideologen in Europa» Zensur im Internet vor
und erlässt Einreiseverbote gegen Gruppen, die sich gegen Hass im
Netz einsetzen. Berlin, Paris und Brüssel reagieren scharf.
Berlin (dpa) - Nach den von der US-Regierung wegen angeblicher Zensur
von Online-Plattformen verhängten Einreisesperren stellt sich die
gegen Internet-Hetze eintretende deutsche Beratungsstelle HateAid auf
Konsequenzen ein. Man prüfe, ob das US-Vorgehen Einfluss auf den
Zahlungsverkehr haben könnte, sagte HateAid-Geschäftsführerin
Josephine Ballon der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. HateAid habe
zwar keine Bankkonten in den USA. Unklar sei aber, ob die
Entscheidung ausgeweitet und auch Sperrungen von Kreditkarten oder
bei US-Anbietern geführten Online-Konten nach sich ziehen könnte.
Wie HateAid wiesen Vertreter der Bundesregierung Zensur-Vorwürfe
zurück. Die EU-Kommission drohte den USA mit Konsequenzen. Die
US-Regierung hatte auch Einreiseverbote gegen drei weitere Europäer
verhängt und dies mit angeblicher Zensur von US-Online-Plattformen
begründet.
HateAid: Einreisesperren rasch umgesetzt
Die US-Behörden hätten die von der Regierung in Washington verfügte
Einreisesperre umgehend umgesetzt, sagte Ballon. Ihr sei am
Mittwochabend mitgeteilt worden, dass sich der Status ihrer
ESTA-Reisegenehmigung geändert habe und damit keine Einreise mehr
möglich sei. Ihre Mit-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg
verfüge aktuell über kein Visum für die USA. Dem «Spiegel» sagte
Ballon: «Leider müssen wir davon ausgehen, dass wir die Ersten, aber
nicht die Letzten waren.»
Die US-Regierung hatte das Einreiseverbot am Dienstagabend deutscher
Zeit öffentlich gemacht. Ballon sagte der dpa, mit Interesse verfolge
sie die Reaktionen in Deutschland und der EU. Dazu gehöre auch die
Forderung nach einer Einberufung des Geschäftsträgers der
US-Botschaft in Berlin ins Auswärtige Amt. Eine entsprechende
Forderung hatte der Grünen-Politiker und Bundestags-Vizepräsident
Omid Nouripour erhoben.
HateAid bietet psychologische und rechtliche Hilfe für Menschen an,
die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen
werden. Im Oktober bekam von Hodenberg den Bundesverdienstorden - sie
habe 2018 mit der Gründung von HateAid Pionierarbeit geleistet, hieß
es zur Begründung.
Rubio kritisiert «Ideologen in Europa»
US-Außenminister Marco Rubio schrieb zur Begründung der
Einreisesperren auf X: «Viel zu lange haben Ideologen in Europa
organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu
zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht
passen.» Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine
Kurskorrektur gebe.
Vom Einreiseverbot ist auch der frühere französische EU-Kommissar
Thierry Breton betroffen, der als einer der Architekten des Digital
Services Act gilt. Das Gesetzespaket soll verhindern, dass im
Internet ein rechtsfreier Raum entsteht. Breton verglich das
US-Vorgehen mit der «Hexenjagd» auf vermeintliche Kommunisten zu
Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele
Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten.
Das Gesetz über digitale Dienste (DSA) verpflichtet Plattformen dazu,
einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder
Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um
Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.
Hubig: Nicht Washington entscheidet in EU
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erklärte: «Nach welchen
Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben
wollen, wird nicht in Washington entschieden.» Außenminister Johann
Wadephul (CDU) nannte die Einreiseverbote auf X nicht akzeptabel. Der
Digital Services Act stelle sicher, «dass alles, was offline illegal
ist, auch online illegal ist». Er sei von der EU für die EU
demokratisch beschlossen worden und wirke nicht extraterritorial.
«Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im
transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.»
EU-Kommission droht USA - Macron spricht von Einschüchterung
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen verurteilte die Sanktionen
aufs Schärfste. Man habe Klarstellungen erbeten, teilte die Behörde
mit. Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren,
um das Recht zu verteidigen, eigene Regeln festzulegen. Wie sie genau
reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X: «Diese Maßnahmen
kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die
europäische digitale Souveränität zu unterwandern.»
US-Regierung nimmt Musk-Kritiker ins Visier
Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des
britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und den
Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for
Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Ahmed lebt der
Organisation zufolge in Washington, ihm droht die Abschiebung aus den
USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein.
X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate
als «kriminelle Organisation» bezeichnet.
Kampfansage an die EU - Reaktion unklar
Für die EU kommt das Vorgehen der USA einer Kampfansage gleich - eine
echte Überraschung ist es allerdings nicht. So hatte US-Vizepräsident
JD Vance bereits im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz den
Kampf der Europäer gegen Desinformation als Einschränkung der
Meinungsfreiheit kritisiert. Im August forderte Trump Staaten mit
Digitalgesetzen auf, diese zu ändern oder abzuschaffen - und drohte
andernfalls mit zusätzlichen Zöllen.
Die EU steht vor der schwierigen Frage, wie sie auf die
Einreiseverbote reagieren soll. Denkbar wäre, dass die EU-Kommission
den Mitgliedstaaten vorschlägt, die Zusammenarbeit mit den USA in
bestimmten Bereichen einzuschränken. Große Hürde ist allerdings, dass
für die Umsetzung der meisten denkbaren Maßnahmen eine Zustimmung des
EU-Ministerrates notwendig wäre. Dort besteht das Risiko, dass die
erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht werden, weil Regierungen
wirtschaftliche und sicherheitspolitische Schäden fürchten könnten.
