Steuerpolitik

Wichtige Rahmenbedingung für den Binnenmarkt

Die Errichtung des Binnenmarkts und die Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion haben zu neuen Gemeinschaftsinitiativen im Bereich der allgemeinen Steuern geführt. Die Aufhebung der Beschränkungen für die Mobilität des Kapitals hat Befürchtungen ausgelöst, dass Steuerkonkurrenz die nationalen Steuergrundlagen mit entsprechenden nachteiligen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die soziale Sicherheit aushöhlen könnte.

Mit der allgemeinen Steuerpolitik verfolgt die Gemeinschaft daher eine Reihe von Zielen:

1. Ein erstes, schon seit langem angestrebtes Ziel ist, zu verhindern, dass Unterschiede bei den indirekten Steuersätzen und -systemen den Wettbewerb innerhalb des Binnenmarkts verzerren. Dies ist der Zweck der nach Artikel 93 (99) erlassenen Rechtsvorschriften über die MwSt. und die Verbrauchsabgaben.

2. Bei den direkten Steuern, wo der bestehende Rechtsrahmen zumeist aus bilateralen Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten besteht, zielen die Gemeinschaftsmaßnahmen hauptsächlich darauf ab, die Lücken, die Steuerhinterziehung ermöglichen, zu schließen und Doppelbesteuerung zu vermeiden.

3. Ziel der jüngsten Schritte hin zu einer allgemeinen Steuerpolitik ist es, die nachteiligen Auswirkungen der Steuerkonkurrenz zu verhindern, insbesondere die Abwanderung der nationalen Steuergrundlagen, da die Unternehmen auf der Suche nach dem günstigsten Steuersystem zwischen den Mitgliedstaaten hin- und herwandern. Ein solcher Wettbewerb kann zwar insoweit nützlich sein, als er den Möglichkeiten der Regierungen, Steuern zu erheben und auszugeben, Grenzen setzt, er kann aber auch die Steuerstrukturen verzerren. In den letzten Jahren ist der Anteil am Gesamtsteueraufkommen, der auf Steuern auf relativ mobile Faktoren wie Kapital (Zinsen, Dividenden, Körperschaftssteuer) entfällt, zurückgegangen, während der auf weniger mobile Faktoren, insbesondere Arbeit - beispielsweise Soziallasten -, entfallende Anteil gestiegen ist.

4. Die Bestimmungen des Maastrichter Vertrags über die Wirtschafts- und Währungsunion haben der allgemeinen Steuerpolitik eine neue Dimension verliehen, indem sie die Möglichkeit der Regierungen zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben durch Verschuldung stark einschränken. Gemäß dem Stabilitäts- und Wachstumspakt darf das Haushaltsdefizit der an der EURO-Zone beteiligten Mitgliedstaaten zu keinem Zeitpunkt 3% des BIP überschreiten. Allgemeines Ziel des Paktes ist es, zu erreichen, dass die Haushalte der Mitgliedstaaten im Verlauf des Konjunkturzyklus mehr oder weniger ausgeglichen sind. Höhere öffentliche Ausgaben können deshalb ausschließlich über höhere Steuereinnahmen finanzieren werden.

Ungeachtet der breiten Akzeptanz, die diese Ziele finden, stehen die einzelstaatlichen Regierungen entscheidenden Schritten zur Steuerharmonisierung innerhalb der Gemeinschaft und zur Aufhebung der vertraglichen Bestimmung, dass Steuermaßnahmen im Rat einstimmig angenommen werden müssen, eher ablehnend gegenüber. Wie die Kommission in ihrem Dokument von 1980 "Der Konvergenzspielraum der Steuersysteme in der Gemeinschaft" (KOM(80) 139) hervorhob, ist die Steuerhoheit nicht nur eine der grundlegenden Komponenten der nationalen Souveränität, sondern die Steuersysteme sind auch infolge der verschiedenen Wirtschafts- und Sozialstrukturen und der verschiedenen Auffassungen von der Rolle der Steuern im Allgemeinen oder einer bestimmten Steuer im Besonderen sehr unterschiedlich.

Der prozentuale Anteil der Gesamtbesteuerung und der Ausgaben für soziale Sicherheit am BIP bewegt sich beispielsweise zwischen 34% in Griechenland und fast 55% in Schweden (der EU-Durchschnitt beträgt 42,6%).

Direkte Steuern - im Wesentlichen personenbezogene Einkommens- und Gewerbesteuern - liegen zwischen 9% des BIP in Griechenland und 32% in Dänemark (EU-Durchschnitt 13,7%). Indirekte Steuern - im Wesentlichen MwSt. und Verbrauchssteuern - liegen zwischen etwa 11 % des BIP in Spanien und über 19% in Dänemark (EU-Durchschnitt 13,8%). Und die Sozialabgaben liegen zwischen nur 1,7 % des BIP in Dänemark und über 19% in Frankreich (EU-Durchschnitt 15,1 %).

1996 legte die Kommission ein neues steuerpolitisches Gesamtkonzept vor (siehe "Steuern in der Europäischen Union" vom 20. März (SEK(96) 487)). Es setzt sich mit den wesentlichen Herausforderungen für die Europäische Union auseinander: der Notwendigkeit, das Wachstum zu sichern und Arbeitsplätze zu schaffen, die Steuersysteme zu stabilisieren und den Binnenmarkt in allen Bereichen zu vollenden.

Im Juni 1996 schlug die Kommission einen europäischen Vertrauenspakt für Beschäftigung vor. Damit wurde insbesondere deutlich gemacht, dass die beschäftigungsfeindliche Tendenz der Steuersysteme im Rahmen einer breit angelegten Strategie zur Schaffung von mehr Arbeitsplätzen in der Union umgekehrt werden muss.

Im April 1996 beschloss der Rat für Wirtschafts- und Finanzfragen (ECOFIN) die Einsetzung einer hochrangigen Arbeitsgruppe für das Steuerwesen ("Monti-Gruppe") unter dem Vorsitz des damaligen für Steuerfragen zuständigen Kommissionsmitglieds Mario Monti. Die ersten Schlussfolgerungen der Kommission im Anschluss an die Sitzungen dieser Arbeitsgruppe (in der auch das Europäische Parlament vertreten war) erschienen im Oktober 1996: "Steuern in der Europäischen Union: Bericht über die Entwicklung der Steuersysteme" (KOM(96) 546).

In dem Bericht wird festgestellt, dass "jeder Vorschlag für steuerpolitische Maßnahmen der Gemeinschaft die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in vollem Umfang berücksichtigen muss". Anstatt einer "Harmonisierung um der Harmonisierung willen" seien Maßnahmen erforderlich, die geeignet seien, "dem Verlust nationaler Steuerhoheit, den die Mitgliedstaaten aufgrund des Marktgeschehens erfahren haben, wirkungsvoller als bisher (entgegenzuwirken)".

Die neue europäische Steuerstrategie (das so genannte "Monti-Paket") wurde im Oktober 1997 von der Kommission veröffentlicht ("In Richtung Koordinierung des Steuerbereichs in der Europäischen Union: Maßnahmenpaket zur Bekämpfung des schädlichen Steuerwettbewerbs"). Neben neuen Vorschlägen für die Besteuerung von Zinsen und Lizenzgebühren sowie für die Besteuerung von Zinserträgen wird darin ein Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung festgelegt, der von Parlament und Rat gebilligt wurde und nun in Kraft ist. Die Einhaltung dieses Kodex wird von einem von den nationalen Finanzministern ernannten Gremium überwacht, der so genannten "Primarolo-Gruppe" (vgl. den Abschnitt über "Direkte Steuern und Unternehmensbesteuerung").

Gleichzeitig bemüht sich die OECD parallel dazu, den "schädlichen Steuerwettbewerb" auf internationaler Ebene aufzuheben und insbesondere den "Steueroasen" ein Ende zu bereiten. Viele der vom Ausschuss für Finanzen der OECD ausgemachten Steueroasen sind direkt assoziierte oder abhängige Gebiete von EU-Mitgliedstaaten, beispielsweise Gibraltar, die Isle of Man und die Kanalinseln (VK) sowie Aruba und die Niederländischen Antillen (NL). Weitere sind auf andere Art an die EU gebunden (beispielsweise durch den EWR), wie etwa die Fürstentümer Liechtenstein, Monaco und Andorra.