Auf einen Blick: Die Soziale Sicherheit in der EU

Ein Arbeitnehmer ist in dem Land sozialversichert, in dem er lebt und arbeitet.

Gäbe es die Gemeinschaftsvorschriften über die soziale Sicherheit nicht, so wäre die Freizügigkeit der Arbeitnehmer bedroht, denn es bestünde die Gefahr, dass Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen im Hinblick auf die soziale Sicherheit unzureichend geschützt wären.

 

Personen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, sich frei innerhalb der Europäischen Union zu bewegen, werden mit vielfältigen Fragen und Problemen im Hinblick auf ihre soziale Sicherheit konfrontiert:

  • Wie ist es um die Rentenansprüche eines Arbeitnehmers bestellt, der mehrere Jahre lang in einem anderen Mitgliedstaat gearbeitet hat?
  • Welcher Mitgliedstaat ist zur Zahlung von Familienleistungen für Kinder verpflichtet, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen?
  • Welcher Mitgliedstaat ist zur Zahlung von Arbeitslosenleistungen für Grenzgänger verpflichtet?

Die nationalen Sozialgesetze geben auf diese Fragen oft nur unzureichende oder überhaupt keine Antworten: viele Arbeitnehmer liefen Gefahr, dass sie in zwei Mitgliedstaaten gleichzeitig oder gar nicht versichert wären oder erworbene Ansprüche auf Sozialleistungen verlören, ohne neue Ansprüche aufbauen zu können.

Aus diesem Grund sind gemeinsame Regelungen innerhalb der Europäischen Union notwendig, die einen wirksamen und umfassenden Schutz gewährleisten.

Kein einheitliches europäisches System der Sozialen Sicherheit
Die Gemeinschaftsvorschriften für den Bereich der sozialen Sicherheit ersetzen die bestehenden nationalen Sozialversicherungssysteme nicht durch ein einheitliches europäisches System. Eine derartige Harmonisierung wäre unmöglich, da die Unterschiede im Lebensstandard zwischen den derzeit 19 Staaten und demnächst 29 Staaten der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums zu groß sind. Aber auch Staaten mit vergleichbarem Lebensstandard weisen unterschiedliche Sozialversicherungssysteme auf, die auf etablierte Traditionen zurückgehen, die fest in der nationalen Kultur und den nationalen Gepflogenheiten verwurzelt sind. Daher kann jeder Mitgliedstaat selbst darüber entscheiden, wer nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu versichern ist, welche Leistungen zu welchen Bedingungen gezahlt werden, wie diese Leistungen berechnet werden und welche Beiträge zu zahlen sind.

Koordinierung statt Harmonisierung der Systeme
Anstelle einer Harmonisierung der einzelstaatlichen Sozialversicherungssysteme sehen die Gemeinschaftsvorschriften über die soziale Sicherheit lediglich eine Koordinierung der Systeme vor. In den Gemeinschaftsvorschriften über die Koordinierung der sozialen Sicherheit sind gemeinsame Regeln und Grundsätze festgelegt, die von allen nationalen Behörden, Sozialversicherungsträgern und Gerichten beachtet werden müssen. Auf diese Weise ist sichergestellt, dass die Anwendung der unterschiedlichen innerstaatlichen Rechtsvorschriften keine nachteiligen Folgen für Personen hat, die von ihrem Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums Gebrauch machen. Es geht also nicht darum, die besonderen Merkmale der Systeme der einzelnen Mitgliedstaaten zu beseitigen, sondern darum, einzelne Aspekte der innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu korrigieren, die sich für Wanderarbeitnehmer und ihre Familienangehörigen ungünstig auswirken können.

Die einschlägigen Regelungen, die es seit mehr als 30 Jahren gibt, sind in der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 und der zugehörigen Durchführungsverordnung Nr. 574/72 enthalten. Diese Verordnungen wurden seit ihrer Verabschiedung im Jahre 1971 mehrfach angepasst, um den Änderungen in den nationalen Rechtsvorschriften Rechnung zu tragen, eine Reihe von Bestimmungen zu verbessern, Unzulänglichkeiten zu beheben oder die besondere Situation bestimmter Personengruppen zu berücksichtigen.

Im Jahr 1998 legte die Kommission einen Vorschlag zur Modernisierung und Vereinfachung der Verordnung Nr. 1408/71 vor, um sie „effizienter und nutzerfreundlicher“ zu machen. Der Rat und das Europäische Parlament haben die Beratungen über diesen Vorschlag bis jetzt noch nicht abgeschlossen.

Dreifache Zielsetzung
Die Bestimmungen der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 stellen in dreifacher Hinsicht sicher, dass die Anwendung der verschiedenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften keine nachteiligen Folgen für Personen hat, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union Gebrauch machen. Dies geschieht in folgender Weise:

Die Gleichbehandlung aller Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten ist in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften gewährleistet.

Alle erforderlichen Versicherungs-, Aufenthalts- und Beschäftigungszeiten werden berücksichtigt (Zusammenrechnung der Versicherungszeiten). Wenn ein Wanderarbeitnehmer eine Beschäftigung in einem anderen Mitgliedstaat aufnimmt, werden die Zeiten berücksichtigt, die nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit in anderen Mitgliedstaaten erworben wurden. Auf diese Weise gehen erworbene Leistungsansprüche nicht verloren.

Sozialleistungen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen werden ungeachtet des Beschäftigungs- oder Wohnorts garantiert.

Der durch die Gemeinschaftsbestimmungen geschützte Personenkreis umfasst

  • Arbeitnehmer (einschließlich Beamte) und Selbständige, die Staatsangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Union sind und nach den Rechtsvorschriften eines dieser Staaten versichert sind bzw. waren; Familienangehörige und Hinterbliebene der oben genannten Personen (d. h. normalerweise diejenigen, die unter ihrem Dach leben oder gelebt haben und denen gegenüber sie unterhaltspflichtig sind oder waren), und zwar ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit;
  • Ruhegehaltsempfänger (die Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaates sind), auch wenn sie schon im Ruhestand waren, bevor ihr Land der Europäischen Union bzw. dem Europäischen Wirtschaftsraum beigetreten ist, sowie deren Familienangehörige und Hinterbliebene;
  • Hinterbliebene von Arbeitnehmern, die der Voraussetzung der Staatsangehörigkeit unter Punkt 1 nicht entsprechen, unter der Bedingung, dass sie selbst die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen;
  • Staatenlose und Flüchtlinge (und ihre Familien), sofern sie Arbeitnehmer im Sinne von Punkt 1 sind;
  • Staatsangehörige von Drittländern, die keiner der oben genannten Kategorien zugeordnet werden können.

Die Gemeinschaftsbestimmungen gelten für alle europäischen Bürger, die sich in einem anderen Mitgliedstaat bewegen, und zwar unabhängig vom Grund und der Dauer ihres Aufenthalts. Diese gemeinschaftlichen Regeln gelten für alle gesetzlichen Leistungen bei Krankheit und Mutterschaft (Geld- und Sachleistungen), Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, Invalidität, Alter und Todesfall, Arbeitslosigkeit sowie für Familienleistungen. Dagegen werden Sozialhilfe, Krankengeld, Leistungen an Kriegsversehrte und deren Hinterbliebene, Betriebsrenten und Vorruhestandsregelungen nicht durch Gemeinschaftsvorschriften abgedeckt.

Grundregeln der Sozialversicherung

1. Der Versicherte unterliegt immer nur den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaates.
Diese Regel gilt für alle Arbeitnehmer und Selbständigen, die durch die Gemeinschaftsbestimmungen geschützt werden, und zwar auch dann, wenn sie ihre Erwerbstätigkeit in mehreren Staaten ausüben: Auch Personen, die in vier oder fünf Mitgliedstaaten gleichzeitig beschäftigt sind, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates.

Es gibt nur eine Ausnahme von dieser Grundregel: Ist eine Person gleichzeitig als Arbeitnehmer in einem Mitgliedstaat und als Selbständiger in einem anderen Mitgliedstaat erwerbstätig, kann sie ausnahmsweise in beiden Mitgliedstaaten versichert sein.

2. Der Arbeitnehmer ist in dem Land versichert, in dem er seine Erwerbstätigkeit ausübt.
Dies gilt für Arbeitnehmer ebenso wie für Selbständige, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnen oder wenn (bei Arbeitnehmern) die Unternehmen, die sie beschäftigen oder ihre Arbeitgeber ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben.

Mit anderen Worten, wer mit der Arbeit in einem bestimmten Mitgliedstaat aufhört, um eine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat aufzunehmen, unterliegt ab diesem Zeitpunkt den Rechtsvorschriften des “neuen“ Beschäftigungslandes. Daraus folgt, dass der Betreffende im "alten" Beschäftigungsland keine neuen Leistungsansprüche mehr aufbaut, sondern diese nur noch im "neuen" Beschäftigungsland erwirbt, und zwar unabhängig davon, ob er dort auch seinen Wohnsitz hat. Auch ein Grenzgänger, der weiterhin im "alten" Beschäftigungsland wohnt, ist nach den Rechtsvorschriften des Landes versichert, in dem er fortan seiner Erwerbstätigkeit nachgeht.

Zu vermeiden ist die Zugehörigkeit eines Wanderarbeitnehmers zu mehreren Systemen der sozialen Sicherheit (dies würde doppelte Beitragszahlung bedeuten), beispielsweise weil er in einem Land beschäftigt ist, das den Beschäftigungsort als Aufnahmekriterium zugrunde legt (z. B. Deutschland) und in einem Staat wohnt, in dem dagegen der Wohnort maßgeblich ist (z. B. Dänemark).

Es darf auch nicht die Situation eintreten, dass er aufgrund der umgekehrten Konstellation in keinem Land versichert ist (was bedeuten würde, dass er nirgends sozialversichert wäre).

Zeitlich befristete Ausnahme: Vorübergehende Entsendung ins Ausland
Es kann vorkommen, dass ein Unternehmen einen Arbeitnehmer, der bei ihm beschäftigt ist, zeitweilig aus beruflichen Gründen in ein anderes Land entsendet. Wenn die voraussichtliche Dauer dieser Beschäftigung im Ausland zwölf Monate nicht überschreitet (und der betreffende Arbeitnehmer nicht entsandt wurde, um einen anderen Arbeitnehmer zu ersetzen, dessen Entsendung abgelaufen ist), ändern sich die anwendbaren Rechtsvorschriften nicht. Mit anderen Worten, der entsandte Arbeitnehmer bleibt für die Dauer der Entsendung in das "neue" Land nach wie vor im "alten" Land versichert.

Bevor der Betreffende sein gewöhnliches Beschäftigungsland zum Zwecke der Entsendung verlässt, sollte er sich ein Formular E 101 beschaffen, in dem bestätigt wird, dass er nach den Rechtsvorschriften des Landes versichert bleibt, in dem er gewöhnlich beschäftigt ist. Der entsandte Arbeitnehmer oder sein Arbeitgeber können dieses Formular von den Sozialversicherungsträgern des Landes erhalten, nach dessen Rechtsvorschriften der betreffende Arbeitnehmer weiterhin versichert ist. Nimmt die im Ausland zu verrichtende Arbeit aufgrund nicht vorhersehbarer Umstände mehr als zwölf Monate in Anspruch, kann eine Verlängerung der Entsendung um maximal 12 weitere Monate beantragt werden (Formular E 102).

Die Vorschriften über Entsendung gelten auch für Selbständige, die zeitweilig in einem anderen Mitgliedstaat beruflich tätig sind.

Regeln für besondere Personengruppen

1. Beamte und ihnen gleichgestellte Personen
Beamte und ihnen gleichgestellte Personen sind in dem Mitgliedstaat versichert, in dessen Behörden sie beschäftigt sind.
2. Geschäftspersonal der diplomatischen Vertretungen und der konsularischen Dienststellen
Grundsätzlich sind diese Personen in ihrem jeweiligen Beschäftigungsland versichert (d. h. in dem Staat, in dem sich die Botschaft oder das Konsulat befinden); Staatsangehörige des entsendenden Mitgliedstaates können sich jedoch auch für die Versicherung in diesem Staat entscheiden.
3. Zum Wehr- oder Zivildienst einberufene Personen
Diese Personen unterliegen den Rechtsvorschriften des Landes, für das sie ihren Militärdienst leisten. Entsprechendes gilt für Zivildienstleistende.
4. Arbeitnehmer im internationalen Verkehrswesen (mit Ausnahme von Seeleuten)
Beschäftigte eines Unternehmens im internationalen Eisenbahn-, Güter-, Personen-, Luft- oder Binnenschiffsverkehr sind in dem Mitgliedstaat versichert, in dem das Unternehmen seinen Sitz hat (Ausnahmeregelungen gelten für Arbeitnehmer, die in einer Zweigstelle oder ständigen Vertretung dieses Unternehmens in einem anderen Mitgliedstaat beschäftigt sind oder die überwiegend in dem Land beschäftigt sind, in dem sie wohnen).
5. Seeleute
Wer als Seemann an Bord eines Schiffes arbeitet, das unter der Flagge eines Mitgliedstaates fährt, ist in diesem Staat versichert, auch wenn er seinen Wohnsitz in einem anderen Land hat (Ausnahmeregelungen gelten bei Anwendbarkeit der Vorschriften für entsandte Arbeitnehmer).

Sonderfälle

1. Nichtbeschäftigte
Nichtbeschäftigte, bei denen die Möglichkeit der späteren Wiederaufnahme eines Beschäftigungsverhältnisses besteht, unterliegen nach geltender Rechtsprechung den gleichen Vorschriften für die Aufnahme in ein Versicherungssystem, d. h. sie unterliegen weiterhin den Regelungen des Staates, in dem sie zuletzt beschäftigt waren.
2. Personen, die gewöhnlich in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt sind
Personen, die gewöhnlich in mehr als einem Mitgliedstaat beschäftigt sind, sind in dem Land versichert, in dem sie ihren Wohnsitz haben, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil in diesem Land ausüben. Entsprechendes gilt für Selbständige, die in mehreren Mitgliedstaaten tätig sind. Wohnt ein Arbeitnehmer nicht in einem der Staaten, in dem er seine Erwerbstätigkeiten ausübt, so ist er in dem Mitgliedstaat versichert, in dem sein Arbeitgeber wohnt oder in dem das Unternehmen, bei dem er beschäftigt ist, seinen Sitz hat. Selbständige sind in dem Staat versichert, in dem sie ihre Haupttätigkeit ausüben.
3. Personen, die in einem Mitgliedstaat als Arbeitnehmer und in einem anderen als Selbständige tätig sind
Grundsätzlich sind diese Personen in dem Land versichert, in dem sie ihre abhängige Beschäftigung ausüben. In Ausnahmefällen kann es jedoch vorkommen, dass die Betreffenden in beiden Staaten gleichzeitig versichert sind. Auskünfte hierzu erteilen die Sozialversicherungsträger in den betreffenden Mitgliedstaaten.

Weitere Informationen:

Informationen zur sozialen Sicherheit auf europa-mobil.de